Nessuno
Wie man überlebt
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Angel Face, der Cocktail: Calvados, Gin und Apricot Brandy sind seine Ingredienzien. Er schimmert gelblich-grün und mutet damit fieser an, als er klingt. Womöglich versetzt er dennoch in einen engelsgleichen Zustand oder vermag es zumindest, ein Gesicht derart zu entspannen, dass es sich ein wenig verjüngt, also zu einem Hauch von Angel Face wird – unschuldig, rein und irgendwie überirdisch. Auch Nessunos „Angel Face“, Zentrum der EP „Wie man überlebt“, verzaubert: selbstvergessen und sich zugleich der eigenen Anmut bewusst, etwas entrückt, wobei zunehmend gelöster. „They call me angel face / They used to call me angel face“, hebt Lothar Hempel den Vorhang, tritt aus ihm hervor und scheint doch ebenso in ihn gehüllt. Eine sanfte Rückkehr, kündete „Balthazar in der Wüste“ kurz zuvor von deutlich dramatischeren Seelenzuständen.
Es ist jene Gleichzeitigkeit, mit der Nessuno, bestehend aus Hempel und Alexandra Matloka, spielen, ein stetes Hineinsinken in die große Melodie, vielleicht auch ein selbstverständliches Baden in ihr. Ganz angstfrei. Einerseits betäubt von den eigenen Gefühlen, dann wiederum nur durch sie klarsehend. Das Artwork der EP unterstreicht die schmerzlich-schöne Pose: leere Tablettenblister, zwei Pillen ruhen sich aus, eine exotisch wirkende lila Blüte. Ein Rezept zum Träumen. Wohin? Zum Beispiel in die „Dunkelheit deiner Seele“, in welcher im Opener „Eiskalte Engel“ Zuflucht gefunden wird. Das langsame Klavier bereitet den Weg dorthin. Und fortan ist es, als befänden sich Nessuno unterhalb der Schmerzschwelle, obschon beide ganz ausdrücklich von ihr wissen, ihre Manöver und Figuren kennen.
„Was schmerzt in meinem Kopf?“ macht all dies elf Minuten später dann auch schlagartig bewusst. Da ist auf einmal eine Leere, ein Plateau, eine Flöte und eine sich aufbauende Synthesizer-Wand, die zu verschlucken droht, fragende Noten und ein helles, nagendes Klopfen. Wieder Stille. „Wie es weitergeht, wenn die Welt, die man liebt, sich nicht mehr dreht“, bricht Alexandra Matlokas Sopran schließlich im finalen „Wie man überlebt“ herein, verströmt Verständnis und Kraft, holt auch zurück. Das Stück ist wie der anbrechende Morgen nach einer diffusen, rauschhaften und mitunter auch irrlichternden Nacht. Es ist noch nichts vergessen; auf das gerade Erlebte aber folgt ein Strahlen. Der Drink, vielleicht ein Angel Face, hat sich längst verflüchtigt. Die frischen Blüten sitzen noch am Stiel. Und sie duften. — Carolin Weidner
Artist: Nessuno
Title: Wie man überlebt
Format: EP
Label: ITALIC
Cat. No.: ITA127
Release date: 23 June 2023
Music & Lyrics: Lothar Hempel
Vocals: Alexandra Matloka
Flute on "Was schmerzt in meinem Kopf": Markus Schaller
Mastering: Jörg Burger
℗ 2023 Italic Recordings © 2023 Italic Songs