Herzlich Willkommen in der Balearischen Bibliothek!

Ich streife durch die Regale, Zedernholz, von Sonne durchflutet, Thymian und Rosmarin, folge meinem Schatten, greife links, greife rechts, greife heraus, vor mir tanzt ein Staubwedel in Pastelbunt.

Herzlich Willkommen in der Balearischen Bibliothek!
In einem entspannten Groove öffnen sich Türen. Wir sind in New York, circa 1981. Der Drumcomputer hängt sich an den Schlagzeuger dran, die Synthesizer ziehen willenlos mit, wie könnten sie anders, der ganze Raum schwingt. Alles scheint möglich, glitzernde Kugeln drehen sich, und Discothèque heisst Plattenbibliothek. Wir sind in Brescia, circa zur selben Zeit. Alles scheint möglich. Selbst das Batikhemd und die Flöte – umgeschnallt, auf den Rücken gerutscht. Teppiche gleiten von feuchten Tischen, und Discothèque heisst Plattenbibliothek. Wir sind in Düsseldorf oder Berlin. Ungefähr 2021, eine einsame Gaststätte lockt uns, die Stimme erklärt etwas, ist uns Fernsehprogramm, wir ziehen willenlos mit, wie könnten wir anders – entlassen dann in die Natur. Ein plätscherndes Tropfen, Mairegen, ein Fisch taucht nach einer Fliege, Vögel schlagen an, der Rhythmus zieht an, ein E-Piano treibt uns voran, die Stimme kehrt zurück, die Türen schliessen sich, Zedernholz duftet, von Sonne durchflutet, Thymian und Rosmarin, und für einen ewigen Moment scheint alles möglich in der Balearischen Bibliothek.

Balearische Bibliothek ist Niklas Wandts erste Veröffentlichung auf italic. Eine EP mit vier Stücken – und nach Erdtöne (Kryptox, 2020) erst seine zweite Soloveröffentlichung unter eigenem Namen. Auch er hat im Düsseldorfer Salon Des Amateurs gelernt, baut seine Stücke auf amerikanischem Elektro und italienischem Cosmic auf – in BPM Zahlen aus dem unteren Mittel; und wo er etwas braucht, greift er zu: angstlos selbst bei Goa, Fusion, Radiostimme oder Krautrockelektronik der sogenannten Berliner Schule; nur: Wandt sitzt hinter den Instrumenten, wenn er einen Sample nutzt, dann auf der Mikroebene, um sich daraus ein Instrument zu bauen. Die Bibliothek ist kein verwinkeltes Collagenwerk, sondern eine geschmeidige Architektur der Anmutung.

Niklas Wandt ist kein Unbekannter. Er ist gefragt in der jüngeren Rheinischen Szene, vor allem als Schlagzeuger und Perkussionist. Zuletzt hat er mit Jan Schulte/Wolf Müller zwei Alben auf Growing Bin veröffentlicht und in 2019 und 2020 je eine EP mit Sascha Funke. Er hat bei Stabil Elite gespielt, und arbeitet aktuell mit Neuzeitliche Bodenbeläge und Transport. Daneben moderiert er die Sendung Jazz & World für den Westdeutschen Rundfunk. Niklas Wandt lebt heute in Berlin.

Credits
Text: Andreas Reihse
Bild: Philipp Carbotta